Neue Kolumne

 
1. September 2018

Genugtuung bei einem Freispruch

Ein junger Weissrusse, der als Student in der Schweiz weilt, wird vom Vorwurf der Vergewaltigung freigesprochen. Für die erlittene Haft wird ihm eine Genugtuung in der Höhe von Fr. 5400.– aus der Gerichtskasse zugesprochen. Diesen Betrag erachtet er als zu tief, weshalb er den Entscheid anficht.

Vor Obergericht macht der Weissrusse geltend, das Strafverfahren habe fast fünf Jahre gedauert, womit das Beschleunigungsgebot verletzt sei. Der massive Strafvorwurf habe seine Lebensqualität und seine Lebensfreude erheblich beeinträchtigt. Viele Freunde und Bekannte hätten sich von ihm abgewendet. Das Strafverfahren habe sich auch auf sein Liebes- und Beziehungsleben ausgewirkt. Er sei gar nicht mehr fähig gewesen, weibliche Bekanntschaften einzugehen.

Das Obergericht hält fest, dass die Eröffnung eines Strafverfahrens ein Risiko ist, das jeden treffen kann. Erst wenn sich aus der Strafuntersuchung einschneidende Konsequenzen ergeben (z.B. ein Stellenverlust oder breite Berichterstattung der Medien), ist ein Ausmass erreicht, das eine Genugtuung rechtfertigt. Die Dauer des Strafverfahrens erachtet das Obergericht angesichts der Schwere des Tatvorwurfs als angemessen, es seien fast 30 Einvernahmen durchgeführt und drei Gutachten erstellt worden. Nicht einzusehen sei, inwiefern das Strafverfahren für den Weissrussen belastender gewesen sein soll als für jeden anderen auch. Er sei ledig, habe keine Kinder und als Student nicht um seine Arbeitsstelle fürchten müssen. Weder eine Partnerin noch Kinder seien vom Strafverfahren tangiert gewesen. Das Obergericht weist deshalb die Berufung des Weissrussen ab.

Autorin: Andrea Gisler
erschienen im «Gossauer Info»



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