Neue Kolumne

 
1. Juni 2012

Hüten von Nachbarskindern

Das Bundesgericht hatte kürzlich folgenden tragischen Fall zu beurteilen: Eine Mutter arbeitete im Haushalt, während ihr fünfjähriger Sohn und ein vierjähriges Nachbarskind, das sie hütete, draussen spielten. Das Nachbarskind fiel in einen Bach und erlitt einen schweren Hirnschaden. Nach diesem Unfall war das Kind vollständig invalid und auf dauernde Pflege und Betreuung angewiesen, ehe es im Alter von 13 Jahren verstarb.

Die Eltern des verstorbenen Kindes verlangten von der Nachbarin eine Genugtuung in der Höhe von Fr. 200 000.–. Das Bundesgericht wies die Klage ab.

Das Bundesgericht ging davon aus, dass das kurzzeitige Hüten im vorliegenden Fall aus Gefälligkeit erfolgte. Die Frau erklärte sich spontan zur Betreuung des Nachbarkindes bereit, weil dessen Eltern für Besorgungen schnell wegfahren und ihr im Garten spielendes Kind nicht mitnehmen wollten. Ein direktes eigenes Interesse an dieser Betreuung hatte sie nicht.

Die Eltern warfen der Nachbarin vor, sie habe die Kinder zu wenig engmaschig überwacht. Das Bundesgericht hielt fest, die Nachbarin habe die Haushaltsarbeiten hie und da unterbrochen und sich vergewissert, dass sich die Kinder weiterhin in der Nähe aufhielten und mit ungefährlichen Spielen beschäftigt waren. Sie habe deshalb nicht sorgfaltswidrig gehandelt. Auch Eltern würden nach der Lebenserfahrung nicht alle fünf Minuten bewusst nach ihren im Garten spielenden Kindern schauen. Von einer Person, die aus Gefälligkeit ein Kind hüte, dürfe keine höhere Sorgfalt verlangt werden. Die Frau haftete deshalb nicht für den schweren Unfall des beaufsichtigten Nachbarkindes.

Autorin: Andrea Gisler
erschienen im «Gossauer Info»



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