Neue Kolumne

 
1. Juni 2023

Sexuelle Belästigung der Ehefrau

Zwischen einem Ehepaar, das getrennt lebt, kommt es zum Streit. Als der Ehemann die Ehefrau küssen will, dreht sie sich weg. Er hält ihren Kopf mit der Hand fest und küsst sie auf den Mund. Auf Strafantrag der Ehefrau hin wird der Ehemann wegen sexueller Belästigung mit einer Busse bestraft.

Der Ehemann wehrt sich gegen diese Verurteilung. Er macht geltend, der Kuss habe keinen sexuellen Bezug gehabt und stelle deshalb keine sexuelle Belästigung dar. Er habe mit dem Kuss auf den Mund seiner Noch-Ehefrau lediglich den Abschluss des gemeinsamen Lebenswegs bekräftigen wollen. Es sei nicht darum gegangen, sexuelle Lust auszuleben.

Das Bundesgericht weist die Beschwerde des Ehemannes ab. Es erinnert daran, dass es sich bei der sexuellen Belästigung um eine Übertretung handelt. Hier reichen bereits wenig intensive Annäherungsversuche oder Zudringlichkeiten mit sexuellem Bezug aus, beispielsweise das überraschende Anfassen einer Person an den Geschlechtsteilen, das Betasten von Bauch und Beinen auch über den Kleidern, das Anpressen oder Umarmungen. Es genügt, wenn ein Durchschnittsbetrachter die Handlung mit Sexualität im weitesten Sinn in Verbindung bringt.

Gemäss Bundesgericht ist dies bei einem Kuss eines Mannes auf den Mund einer Frau zu bejahen. Die Ehefrau habe klar zum Ausdruck gebracht, dass sie nicht geküsst werden wolle. Was den Ehemann bewogen habe, die Ehefrau zu küssen, sei nicht entscheidend. Der Kuss gegen den Willen der Ehefrau stelle eine körperliche Zudringlichkeit dar, die von aussen betrachtet sexuelle Bedeutung habe.

Der unerwünschte Kuss hat den Ehemann mit Gerichtsgebühren und Parteientschädigung mehrere Tausend Franken gekostet.

Autorin: Andrea Gisler
erschienen im «Gossauer Info»

Zurück zur Kolumnen-Übersicht