Neue Kolumne

 
1. Dezember 2018

Gefährlicher Freund

Eine junge Frau wendet sich wegen des Verhaltens ihres Freundes an die Polizei. Der Polizist empfiehlt ihr, die Beziehung aufzulösen. Die Frau befolgt diesen Rat und teilt ihrem Freund ein paar Tage später per E-Mail mit, sie beende die Beziehung mit ihm definitiv. Noch in der gleichen Nacht dringt der Mann in die Wohnung der Frau ein und entführt sie an sein Domizil, wo er sie misshandelt, vergewaltigt und ihr aus kurzer Distanz dreimal mit einer Armbrust in die Brust schiesst.

Die schwer verletzte Frau verlangt vom Kanton eine Genugtuung in der Höhe von Fr. 105 000.–, weil der Polizist sie nicht über die strafrechtliche Vergangenheit und die Gefährlichkeit ihres damaligen Freundes informiert hat. Der Mann war wegen Mordes und Vergewaltigung vorbestraft. Ein früher erstelltes Gutachten hielt fest, dass in unmittelbaren Trennungssituationen erneute Gewalttaten zu befürchten seien.

Für das Bundesgericht ist es nachvollziehbar, dass die Frau die ausgebliebene Warnung durch die Polizei als gravierenden Fehler einstuft. Es anerkennt auch, dass das Verhalten der Behörden zum Lauf der Dinge beigetragen hat. Gestützt auf das Beweisergebnis geht das Bundesgericht jedoch davon aus, dass der Polizist keine Kenntnis von den psychiatrischen Berichten hatte und für ihn eine unmittelbar drohende Gefahr nicht erkennbar war. Ob die Frau den Gewaltausbruch hätte verhindern können, wenn sie die Vergangenheit des Mannes gekannt hätte, bleibt für das Bundesgericht ungewiss. Es verneint eine Haftung des Staates für die Taten des Mannes.

Autorin: Andrea Gisler
erschienen im «Gossauer Info»



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